Pfarrer Jan Ehlert
aus dem Gemeindebrief 2-2023
Ein Segen
für das Leben
Eine Partnerschaft ist keine Selbstverständlichkeit
Dass man in den verschlungenen Pfaden des Lebens überhaupt die richtige Person findet, grenzt oft schon an ein Wunder. Wenn zwei Menschen sich dann darauf einlassen, ihr Leben gemeinsam zu verbringen, dann ist das selten ein gerader Ritt durch Jubel und Heiterkeit. Das Leben hält auf seinem Weg so manchen Stolperstein und so manche Hürde bereit, schickt einen allzu oft auf seltsame Umwege, die wir weder verstehen noch gutheißen. Selten kommt etwas so, wie man es geplant hat, und fast nie dann, wenn man es erwartet. Da sind Belastungen, die so eine Beziehung aushalten muss. Da sind Verletzungen, die entstehen, obwohl man sie nicht gewollt hat.
Wir haben das Schicksal eben weniger in der Hand als uns lieb ist. Man kann sich noch so anstrengen, immer wieder gibt es Momente, in denen einem alles entgleitet. Ja, es ist wunderbar, wenn man einen Menschen gefunden hat, mit dem man vieles gemeinsam angehen kann. Und doch braucht so eine Beziehung auch immer wieder Pflege. Sie braucht Zeit und Aufmerksamkeit, damit sie nicht eingeht in den Herausforderungen eines Lebens und im Chaos des Alltags. Die Last eines Berufes, die Organisation der Kinderbetreuung, die plötzlich notwendige Pflege der eigenen Eltern nehmen sich Zeit, die für Zweisamkeit dann fehlt. Leidenschaft, Erotik oder nur ein Abend zu zweit treten schnell in den Hintergrund.
Zeit füreinander müssen wir uns selber nehmen. Darum kommen wir nicht herum. Und doch ist kein Paar alleine in all dem. Wenn es sich wieder so anfühlt, als ob der Boden Risse bekommt, dann bin ich froh um diese Gewissheit: Da gibt es etwas, das größer ist als ich; etwas, das ich weder begreifen, noch anfassen kann; etwas, das mich begleitet und mir die Kraft gibt, wenn ich sie brauche. Einen klaren Gedanken, mitten im größten Durcheinander, eine frische Portion Mut, für einen neuen Schritt, oder einfach nur die Gelassenheit hinzunehmen, dass es Dinge gibt, die ich nicht verändern kann. Das sind die Momente, in denen ich spüre, Gott
ist an meiner Seite. Und dann kann es mit einem Mal sein, dass Dir der Umweg gar nicht mehr so lang vorkommt, dass Du die Kraft hast, die Steine einfach wegzuräumen, statt lange daran herumzukauen.
Und es macht sich die Sicherheit breit, dass wir nicht alles alleine schaffen müssen, auf unserem gemeinsamen Lebensweg als Paar, sondern, dass Gott dabei ist, ganz gleich, was wir uns vornehmen.
Was ein Segen für das Leben.
Pfarrerin Leonie Stein
aus dem Gemeindebrief 1-2023
Der Klang der Glocke
Vom Zauber zum Klingen zu kommen
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Glockenturm in Hürth-Mitte steht. Leicht, fast filigran dreht er sich dem Himmel entgegen, ohne zu verstellen, was dahinter liegt: Die Kirche. Im Gegenteil: Er weckt Neugier und schafft eine interessante Perspektive aufs Gebäude, durch die Glocken betrachtet. Die Glocken läuten wieder.
Man hatte sich an die Stille gewöhnt. Aber jetzt, wo die Glocken wieder klingen, merkt man doch, was gefehlt hat: Dass die Glocken die Menschen zum Gottesdienst rufen. Ein hörbares Zeichen in die Welt hinaus – hier feiern Menschen Gott. Vertraut fühlt es sich an, wieder auf das Ausläuten der Glocken zu lauschen, auf dass mit dem Einsatz der Orgel das Gottesdienstgeschehen in der Kirche beginnt. Der fragende Blick zur Kantorin im gemeinsamen Beachten der Uhr wird überflüssig.
Glockengeläut ist kein Selbstzweck. Eine Glocke läutet selten einfach nur, weil’s schön ist. Eine Glocke hat etwas zu sagen: Sie ruft die Gläubigen zum Gottesdienst, sie verkündet der Welt, dass gerade das Vaterunser gebetet wird. Nicht das Geläut selbst ist das Ereignis, so schön und voll und eindrücklich es auch sein mag. Aber es deutet, als einzelne Glocke oder in seiner Fülle, auf das Ereignis hin, das gleich geschehen wird oder gerade geschieht.
Die Glocken sind es, die zum Gottesdienst rufen. Zu Sonntagsgottesdiensten, zu Festtags-gottesdiensten, an wichtigen Stationen im Kirchenjahr und auch an wichtigen Stationen im Lebenskreis. Sie rufen zum Erleben von Begegnung mit Gott und untereinander, von Gemeinschaft, von gegenseitigem Beistand und Weggeleit.
Glocken sind ein zauberhaftes Instrument und für mich mit positiven Bildern und Gefühlen verbunden. Glockenklang wohnt ein Zauber inne. Das hat mit Erinnerungen zu tun, mit Kindheit und Kindlichkeit, auch mit Romantik. Und für mich heute auch mit der Hoffnung auf Begegnung. Mit Angerührt-sein. Der Klang macht da viel lebendig, denn er lässt etwas in mir anklingen, weckt Erinnerungen. Glocken können schön aussehen und dekorativ gestaltet sein, wie die im neuen Glockenturm. Aber wie bei jedem Instrument ist ihr eigentliches Wesen nicht sichtbar. Erst durch Berührung, wenn die Glocke einmal angeschlagen ist, wird ihre Stimme, ihre Seele, ihr Klang freigesetzt. Was man sieht, ist die Glocke als Kunstwerk. Was man hört, ist die Seele der Glocke, ihr Ton.
Glockenklang rührt innerlich an. Vielleicht hängt das zusammen mit der tiefen Sehnsucht, selbst zum Klingen kommen zu wollen. Wenn ich einen Gottesdienst besuche, dann in der Sehnsucht, dass etwas in mir in Schwingung gerät. Auch ich will zum Klingen kommen. Darin entspricht eine Glocke dem tiefen inneren Wesen des Menschen. Klingen wollen. Hörbar werden. In Schwingung geraten. Lebendig sein.
Eine Glocke klingt nicht aus sich selbst heraus, sie braucht einen Anstoß dafür. Braucht Berührung, um zum Schwingen zu kommen, so dass sie uns ihren Klang schenkt und in ihrem Klang zu uns spricht – einem Ton, der schwebend die Luft erfüllt und sich weiterverbreitet und andere Menschen berührt.
Wie wunderbar. Angerührt sein, um zum Klingen zu kommen. In Schwingung geraten, damit ein Ton freigesetzt wird, der unsere Seele freigibt. Ich wünsche mir, dass das öfter geschieht: das Erlebnis, berührt zu sein und zum Klingen zu kommen im und durch den erlebten Gottesdienst, zu dem die
Glocken uns rufen.
Pfarrerin Christiane Birgden aus dem Gemeindebrief 4-2022
Gott sei Dank!
Vom Erlernen einer nicht zu unterschätzenden Kunst
Gerade will der kleine Junge genussvoll in die aufgerollte Scheibe Fleischwurst beißen, da zischt es von der Seite: „Was sagt man da?“ Er hätte in diesem Moment das glücklichste Kind sein können, wenn diese pädagogische Eingabe von Mutter, Tante, Erzieherin nicht den Zauber des Moments zerstört hätte. Natürlich sagt das in dieser Weise vorgeführte Kind brav „Danke“, aber ich meine in der Stimme immer den Unterton des Genervtseins mitgehört zu haben. Das ist nicht die Dankbarkeit, um die es geht, wenn wir wie jetzt etwa im Herbst ErnteDANK feiern oder in einem großen Fest unseren Ehrenamtlichen DANKEN möchten. Wir müssen unterscheiden: Es gibt eine Dankbarkeit, die anerzogen ist, und eine Dankbarkeit, die von Herzen kommt.
Verstehen Sie mich nicht falsch, Höflichkeit ist eine Zier und Erziehung zur Höflichkeit auf jeden Fall wünschenswert. Und diese Dankbarkeit ist anders als die Dankbarkeit, die aus dem Herzen kommt. Diese Dankbarkeit entspringt einer Haltung, die immer mehr in einem Menschen wachsen und reifen kann, bis sie selbst zur Lebenskraft wird.
Martin Luther meinte, dass wenn man sich einmal wirklich klar mache, was Gott für uns in Christus getan hat, in uns so eine tiefe Dankbarkeit entstehen würde, dass wir gar nicht umhin kämen, gute Menschen zu werden: die „guten Werke“ würden einfach so sprudeln. Die Zeit nach Luther zeigte insbesondere im Dreißigjährigen Krieg, dass das zumindest nicht flächendeckend geklappt hat.
Aber immer wieder gab es Menschen und Momente, die diese Haltung haben durchscheinen lassen.
Ich denke an Ayshe, der die Sozialarbeiterin meiner Kölner Gemeinde aus der Insolvenz geholfen hat und die zu einer der aktivsten im Ehrenamt in diesem abgehängten Ortsteil von Köln wurde. Oder an Hans-Herbert, der mit einer großen Ruhe und einnehmenden Präsenz die Gruppe der Anonymen Alkoholiker in der JVA Remscheid leitete. Er selbst seit vielen Jahren trocken, konnte sich aber noch gut daran erinnern, selber viele Jahre „Platte gemacht“ zu haben. Beide, Ayshe und Hans-Herbert, haben ihrer Dankbarkeit durch ein Ehrenamt Ausdruck verliehen.
Auch von Menschen, die sich in unserer Gemeinde oder an anderer Stelle im christlichen Sinne engagieren, als Fußballtrainer oder bei der Tafel, höre ich immer wieder als Motivation, etwas „zurückgeben“ zu wollen.
Wenn wir uns bewusst machen, was Gott für uns getan hat und immer noch tut, wächst in uns eine Dankbarkeit. Eine Dankbarkeit für Gottes Festhalten an uns auch in Krisen, seine unerschütterliche Geduld und Liebe. Diese Dankbarkeit macht uns nicht klein, im Gegenteil: sie lässt uns stark sein. Eine alte Dame aus unserer Gemeinde meinte, dass sie in der Rückschau auch dankbar für die Krisen in ihrem Leben sei. Weil sie sie mit Gottes Hilfe durchschritten und irgendwie auch bewältigt hat.
Ich glaube, das ist schwer zu denken, wenn man noch mittendrin steckt in der Krise, aber diese Sicht gibt mir Perspektiven. Vielleicht ist Dankbarkeit eine Kunst, in der wir uns immer mehr einüben können.
Die Gemeinde ist ein guter Ort das auszuprobieren.
Pfarrerin Christiane Birgden aus dem Gemeindebrief 3-2022
„Wer innehält, hat innen Halt“
Von der Kunst, Pause zu machen
Es gibt Menschen, die können das: eine Auszeit
machen. Früher hielt ich solche Menschen für faul. Heute bewundere ich sie.
Zunächst: Was ist das, eine Auszeit machen? Eine Auszeit machen ist mehr als Nichtstun. Eine Auszeit bedeutet, das, was ich mache, zu unterbrechen und mich nicht gleich in die nächste Tätigkeit stürzen. Vom Spülmaschine-Ausräumen zum Fensterputzen, zum Bürokram. Eine Auszeit heißt, meine Arbeit zu unterbrechen und – nun ja – nicht zu arbeiten. Klingt so einfach.
Sitze ich im Liegestuhl, sehe ich gleich den Löwenzahn, der gejätet werden sollte, ach ja, und das Laub an der Wasserstelle wollte ich noch wegmachen. Und dann piepst der Trockner. Irgendwie möchte ich meine Zeit sinnvoll nutzen und füllen. Einfach mal dasitzen und den Vöglein beim Zwitschern zuhören fällt mir schwer.
Dabei haben wir ein großes Vorbild beim Pause-Machen und das ist Gott selbst. Nachdem Gott die Welt erschaffen hat, ruht er am siebten Tag. Er macht Pause. So erzählt es die Bibel gleich im ersten Kapitel.
Was Gott da genau tut beim Pausemachen, wird nicht beschrieben. Auf jeden Fall macht er nicht einfach weiter. Gott macht Pause. Und er macht das einfach so. Er begründet sich nicht. Er sagt nicht: „War ja auch ganz schön anstrengend die Welt zu erschaffen“. Damit ermutigt und legitimiert er uns, auch Pause zu machen. Der Sabbat, der 7. Tag, der Ruhetag, ist in der Anordnung des Schöpfungshymnus in sieben Strophen das höchste Schöpfungswerk – nicht der Mensch.
Dieser Sieben-Tage-Rhythmus ist – anders als Jahre und Monate, die sich nach Sonne und Mond richten – allein biblisch begründet. Immer wieder hat es Versuche gegeben, den Rhythmus zu verlängern: 9 Tage Arbeit, 1 Tag frei. Manch einer dachte: Da müsste doch ein bisschen mehr gehen. Aber kein anderer Rhythmus hat sich durchgesetzt. Und um diesem Rhythmus der sieben Tage Nachdruck zu verleihen, ist die Einhaltung des Sabbats auch gleich zu einem der Zehn Gebote gemacht worden.
Ich hatte vor Jahren mal die Gelegenheit in einer jüdischen Gemeinde den Sabbat mitzufeiern und ich fand das enorm herausfordernd. Am Sabbat darf man nur genießen. Man darf Kuchen essen, aber nicht Kuchen backen. Auch den Spül muss man stehen lassen. Man darf lesen, aber nichts anstreichen. All das Verzweckte meines Alltags muss mal einen Tag ruhen. Die Idee ist, Gott am Sabbat, am Feiertag, mal wirklich allein Schöpfer sein zu lassen, ohne selbst etwas zu schaffen oder zu leisten. Klingt leichter als getan.
Denn wir sind in der Gesellschaft in der Regel anders gepolt. Keine Zeit verschwenden! Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! Carpe diem!
Dabei macht es Sinn, Pausen zu machen. „Wer innehält, hat innen Halt“, hat mir eine Freundin mal auf einen Zettel geschrieben. Ist was dran. Weil sich unser Körper sonst die Auszeit holt und krank wird.
Warum also ist das Auszeit-Machen so wichtig? Es geht nicht nur um den Erhalt unserer Arbeitskraft, sondern auch darum, Raum zu schaffen. Ähnlich wie bei einem Aquarellbild. Meine Kunstlehrerin hat uns beigebracht, dass ein Aquarell erst dann gut wird, wenn nicht die ganze Fläche mit Farbe bedeckt ist, sondern einige Stellen ohne Farbe bleiben. Diese Lichtakzente lassen sich nur durch die Lücke, nicht mit weißer Farbe herstellen. Dasselbe gilt für die
Musik. Erst die Pausen geben einer Melodie einen reizvollen Rhythmus.
Wer Pausen macht, schafft also Raum. Raum zur Begegnung. Auch zur Begegnung mit sich selbst. Und zur Begegnung mit Gott.
Diakon Kai Oppenberg aus dem Gemeindebrief 2-2022
Taufe, Wasser, Lehm
Gottes Versprechen für uns
Bevor Sie diese Ausgabe in die Hände genommen haben, werden Sie heute sicherlich schon Wasser genutzt haben. Vielleicht zum Händewaschen, zum Trinken oder um sich etwas zu Essen zu machen. Für uns alle ist Wasser nicht nur täglich nützlich, sondern (über)-lebenswichtig. Wasser ist einfach unabdingbar bei der Entstehung von Neuem. Besonders jetzt im Frühling fällt uns das wieder vermehrt auf, wenn untergestellte Pflanzen dringend frisches Wasser brauchen, um ihrem Frühlingstrieb nachzukommen.
Kein Wunder, dass bei uns die Taufe untrennbar mit dem Wasser verbunden ist. In der Bibel wird uns eindrucksvoll von Johannes dem Täufer berichtet, wie er Jesus im Wasser des Jordans tauft*:
Im Moment der Taufe bekommt das auf den ersten Blick so alltägliche Wasser des Jordans eine neue Bedeutung. Das Wasser wird für einen Moment zum sichtbaren Zeichen für Gottes Nähe und Zuneigung. Während das Wasser Jesus berührt sagt Gott: “Du bist mein geliebtes Kind“. Was aus dieser Zusage Gottes alles erwachsen kann, das können wir in den Überlieferungen von Jesu späterem Wirken bildreich und wie ich finde ermutigend nachlesen.
Martin Luther hat einmal über die Taufe gesagt, sie sei einmalig und doch ein lebenslanger Prozess. Damit erreicht er uns auch 500 Jahre später noch. Denn auch heute wird die Taufe nur einmal vollzogen. Doch dann darf und soll sie sich lebenslang in unserem Leben
entfalten.
Die Taufe kann und wird sich verändern in unserem Leben und sie wird uns verändern: Sie kann uns ermutigen, Neues zu wagen. Sie ermöglicht einen anderen Blick auf unser Leben und die Welt. Sie verändert unsere Überzeugungen und manchmal sogar unsere Lebensgestaltung.
Mir kommt dabei Lehm als Methapher für uns selbst in den Sinn. Aus trockener Erde wird in Verbindung mit Wasser etwas völlig Anderes und Neues. Etwas, das sich formen lässt, sich verändert durch das Wasser. Selbst wenn der Lehm schließlich getrocknet ist wie das Taufwasser auf unserem Kopf, ist und bleibt das Wasser, das einmal darin war, eine entscheidende Zutat.
Für mich persönlich bedeutet das: Gott wirkt in uns bei der Taufe, und wenn ich offen dafür bin, mein Leben lang. Denn der Satz, den Gott Jesus in der Taufe zugesprochen hat, gilt auch heute für jeden von uns: Du bist mein geliebtes Kind.
Er sagt also nichts anders als: Ich bin bei Dir und habe ja zu Dir gesagt. Was für ein tolles Versprechen: Gott hat sich mir gegenüber festgelegt. Das ist eine
Sicherheit, die mich in meinem Leben trägt und die mein
Leben beeinflusst. Immer wieder neu, komme was
wolle.
Amen.
*Markus 1, 9-11
Pfarrer Jan Ehlert aus dem Gemeindebrief 1-2022
Ich bin der Strom
und ihr seid die Mixer
Begegnung mit
der Stromquelle des Lebens
So ein Mixer ist ein tolles Küchengerät. Ein Stern aus Messern am Boden eines Glasbehälters zerkleinert in wenigen Sekunden Obst, Gemüse oder Nüsse. Egal ob wir einen Smoothie, einen Milchshake oder eine Suppe haben wollen: Seit fast 100 Jahren macht der Mixer das möglich, denn 1922 erfand der polnischstämmige Amerikaner Stephan Poplawski dieses großartige Küchengerät. Aber ich schweife ab, liebe Leserinnen und Leser.
Ich erzähle das, weil Jesus doch gesagt hat, dass es uns wie jedem Mixer in dieser Welt geht. Naja, das hat er natürlich nicht so gesagt. Aber vielleicht gemeint, als er tatsächlich sagte:
„Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt, so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts ausrichten.“ (Joh 15,5)
Was er wohl meint ist: Wir haben nur genug Kraft und Energie für unsere Aufgaben, wir können nur das schaffen, wozu wir berufen und begabt sind, wenn die Verbindung zur Quelle stimmt. So wie die Reben mit dem Weinstock verbunden sind oder eben der Mixer mit dem Strom. Ohne Strom ist der beste Mixer nicht zu gebrauchen.
Und ich denke: Ja, unsere Beziehungen und Begegnung mit Menschen aus unseren Familien, mit Freunden, aber auch manche Gegenstände unseres Alltags sind wahnsinnig wertvoll für uns. Keine Frage!
Aber Dinge gehen eben kaputt, verlieren ihren Wert. Und Beziehungen zerbrechen leider auch immer wieder. Die Quelle des Lebens muss etwas anderes sein. Etwas oder jemand, der niemals an Bedeutung verliert, nie verloren gehen oder kaputt gehen kann. Sie wissen worauf ich hinaus will: Gott ist die Quelle des Lebens. Er hat alles Leben erschaffen und in der Begegnung mit ihm werden wir gewappnet für anstrengende Zeiten, bekommen gar eine Hoffnung, die keiner zerstören kann.
Beim Mixer ist klar: Erst wenn das Kabel in der Steckdose steckt, kann ein Mixer das tun, wozu er bestimmt ist. Die Verbindung zur Quelle muss stimmen. Wenn wir mit Gott in Verbindung sind, wenn wir zulassen, dass er uns begegnet, werden wir das Gleiche erleben. Wir werden in der Begegnung mit Gott entdecken, welche wunderbaren Gaben er uns geschenkt hat und wo genau in dieser Welt wir mit all dem gebraucht werden. Darum lassen Sie uns Gott begegnen, in diesem Advent und beim bevorstehenden Weihnachtsfest und lassen Sie uns in Verbindung treten mit unserer ganz persönlichen (Strom-)Quelle!
Presbyterin Gabriele Frechen aus dem Gemeindebrief 4-2021
Fürbitten heißt – jemandem einen Engel senden
(M. Luther)
Am Sonntag Michaelis hörte ich in der Predigt Gedanken zu Engeln. Und ich habe die Veränderungen in meiner Vorstellung von Engeln überdacht. Vor vielen Jahren stand ich mit meiner Tochter Michaela und einer Freundin in der Küche. Eine von uns meinte: sind wir eigentlich vollzählig oder fehlt Uriel. Die Freundin heißt nämlich Raffaela.
Wir sinnierten über Engel und meiner Tochter kam eine Geschichte eines lang zurück liegenden Weihnachtsurlaubs in den Sinn. Sie sollte einen Engel, ein zartes, flüchtiges Weisen, mit langen blonden Locken spielen. Weder zart noch blond gelockt bekam sie ein weißes Nachthemd an und eine Perücke auf den Kopf und der Engel war fertig. Tatsächlich war das unsere gemeinsame Vorstellung: außer Gabriel, Michael und Raffael waren Engel weiblich, jung, blond und lockig.
Das änderte sich für mich schlagartig mit dem Ereignis, das mir an Michaelis mit voller Wucht wieder präsent war.
Vor einigen Jahren war ich mehrere Wochen zur Fortbildung in Bremen. Tagungsort war ein Hotel direkt am Bahnhof. Direkt davor ein großer Platz mit Massen von Fußgängern und dazwischen Straßenbahnen. An einem Vormittag litt ich unter schrecklichen Kopfschmerzen. In der Mittagspause rannte ich über diesen Platz, nur das Schild Apotheke im Visier. Da sehe ich plötzlich eine Frau, die mich ansieht und die Hände vor das Gesicht schlägt. Ich schaue nach links und sehe eine fast geräuschlose Straßenbahn vielleicht fünf Meter von mir entfernt. Ein Schritt zurück und die Bahn fährt an mir vorbei. Ohne den Blick dieser Frau wäre ich nicht stehen geblieben. Warum hat sie mich angesehen und warum habe ich gemerkt, dass ihr Blick mir galt?
Seit diesem Erlebnis glaube ich nicht mehr an Engel. Ich bin sicher, dass es sie gibt. Ich wundere mich nur, wie schwer es mir fällt, das auszusprechen.
Engel müssen nicht jung und blond sein und es müssen keine Männer mit Flügeln sein.
Und wenn Sie wieder einmal sagen: „Da hat mein Schutzengel aber ganze Arbeit geleistet“ oder „dich hat der Himmel geschickt“, dann ist Ihnen vielleicht gerade ein Engel begegnet. Wir mir damals in Bremen.
Pfarrerin Franziska Boury aus dem Gemeindebrief 3-2021
Abraham/
Segen für die Völker
Abraham/ (Groß-)Vater Israels, Ismaels
und Vater des Glaubens
Vermutlich kennen Sie alle Geschichten von Abraham und Sara. Inhalt von unzähligen Kindergottesdiensten, Kinderbibeln, Inhalt im Religionsunterricht. Ihre Geschichten sind Motiv für unzählige Bilder und Titel für interreligiöse Gespräche der drei Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam.
Welche Erinnerungen haben Sie an Abraham und Sara. Spielen die beiden in Ihrer Glaubensgeschichte eine Rolle? Mit Abraham beginnt Gott seine Geschichte mit seinem erwählten Volk Israel, dessen Urvater Abraham ist, genauso wie in ihm der Vater von Ismael gesehen wird, dem Urvater der arabischen Stämme und des Islam. Paulus benennt ihn als Vater im Glauben für die entstehende Religion des Christentums, für Juden und Heiden, in seinem Römerbrief (vgl. Röm 4, 16f.)
Ich habe ein Bild im Kopf – Abraham unter dem Sternenhimmel. Verschiedene Künstler haben dies gemalt, seien es die Bilder von Kees de Kort, Sieger Köder oder Illustrationen der Bibel aus dem frühen Mittelalter: Abraham steht unter dem Sternenhimmel und betrachtet ihn – ein alter Mann – er könnte schon längst Großvater sein – und Gott verheißt ihm viele Nachkommen. Was für eine Aussicht. „Ich will dich segnen und deinen Namen groß machen, sodass du ein Segen sein wirst.“ (1. Mose 12, 2b, Basis Bibel) So verspricht Gott es Abraham zu Beginn der gemeinsamen Geschichte vom Wegzug aus Ur, bis nach Ägypten und wieder zurück in das Land Kanaan. Unter dem Sternenhimmel stehen, von der Weite des Universums umhüllt zu sein, das empfinde ich als unwahrscheinlich beeindruckend. Ein abgeschiedener Ort mit wenig Lichtsmog ist nötig, aber wenn man es dann erlebt – vorzugsweise an einem warmen Sommerabend – dann fehlen mir die Worte. Es ist ein Staunen – ein Aufatmen – ein demütig werden – ein Aufsaugen der Schönheit und dennoch eine unfassbare Geborgenheit. Das klingt widersprüchlich und doch empfinde ich es so. In so einen Moment empfängt Abraham zum wiederholten Mal den Segen und das Versprechen Gottes. Als alter Mann.
In einer Situtation, in der man selber vielleicht nicht mehr viel erwartet, in der die Skepsis ansteigt, die Hoffnung auf Zukunft eine untergeordnete Rolle spielt, wird von Leben und Zukunft gesprochen. In den vergangenen 18 Monaten wurden wir alle sehr viel Demut gelehrt. Wir wurden herausgefordert, unsere Grenzen wahrzunehmen und anzunehmen. Wir wurden herausgefordert, Komfortzonen zu verlassen und neue Wege zu gehen. Wir wurden herausgefordert neu zu überlegen, was Solidarität unter Menschen, innerhalb der Generationen, der sozialen und kulturellen Hintergründe und über Landes- und politische Grenzen hinweg bedeuten kann und dann so zu handeln.
Demütig stehe ich unter diesem Zelt der gemachten Erfahrungen und höre die Segensverheißung. Ja, genau in solche Entscheidungssituationen – Krisensituationen hinein spricht Gott uns Menschen Segen zu. Stärkt den Blick für die Hoffnung auf Zukunft und lässt uns aus diesem Vertrauen heraus tätig werden. Und als Gott Abraham mit seiner Frau und seinem ganzen Haushalt losziehen lässt, fügt er noch an: „Ich werde die segnen, die dich segnen. Wer dir aber Böses wünscht, den werde ich verfluchen. Alle Völker der Erde sollen durch dich gesegnet werden.“ (1. Mose 12,3, Basis Bibel).
Wir haben erlebt, dass die Herausforderungen uns manchmal ängstigen und verführen uns abzugrenzen. Gott macht uns Mut, diese Hoffnung auf Leben für alle Menschen – alle Völker der Erde zu stärken und nicht den Ursprung zu zerstören, aus welchem unser Segen kommt.
Ich wünsche uns allen, dass wir spüren, dass Gott das Sternenzelt über unsere Erde herumgespannt hat und uns miteinander vereint, damit wir in Achtung füreinander das Leben als Ziel haben.
Amen.
Pfarrerin Franziska Boury aus dem Gemeindebrief 2-2021
Worauf bauen wir?
Wie jetzt?
Ein Impuls des Weltgebetstages aus Vanuatu
Worauf bauen wir? Jetzt in diesen Zeiten! Der Covid-19 Virus bestimmt Politik, Wirtschaft und gesellschaftliches Leben. Es ist für uns in einer westlichen, demokratischen Welt, in der die Menschen großen Wert auf selbstbestimmte Freiheit legen, sehr ungewohnt, so stark zu erleben, wie vieles im Leben fremdbestimmt ist. Meiner Lebenserfahrung nach, ist das Leben sowieso in vielerlei Hinsicht fremdbestimmt; habe ich viele Entscheidungen in meinem Leben nicht in der Hand, auch wenn ich hin und wieder Einfluss nehmen kann.
Aber wer weiß schon, wo die Liebe hinfällt? Wann der Tod Beziehungen beendet? Wie der Arbeitsmarkt der eigenen Berufsbiographie hilft? Ob ein Kind empfangen wird?
Dieses Jahr haben Frauen aus Vanuatu, das ist eine Inselgruppe im Pazifischen Ozean nordöstlich von Australien, sich Gedanken gemacht – worauf bauen wir – im Wissen von der Abhängigkeit der Naturkräfte des Meeres und des Landes. Sie haben Verse aus dem Matthäusevangelium, der Bergpredigt in den Mittelpunkt gestellt:
„Alle, die nun meine Worte hören und entsprechend handeln, werden einer klugen Frau, einem vernünftigen Mann ähnlich sein, die ihr Haus auf Felsen bauten. Und Regen fällt herab, es kommen reißende Flüsse, Stürme wehen und überfallen dieses Haus – und es stürzt nicht ein! Denn es ist auf Felsen gegründet. Alle, die nun meine Worte hören und sie nicht befolgen, werden so unvernünftig sein wie eine Frau oder ein Mann, die ihr Haus auf Sand bauten. Und Regen fällt herab, es kommen reißende Flüsse, Stürme wehen und prallen an dieses Haus – da stürzt es in einem gewaltigen Zusammenbruch ein!“ (Mt 7,2-27 nach Bibel in gerechter Sprache (BigS)).
Jesus ruft zum Hören und Tun auf. Bei allen Bedrohungen und Anfechtungen im Leben ermutigt er zu überprüfen, was uns im Leben tragen kann. Und er verspricht, dass seine Worte – Gottes Worte das Leben durch alle Stürme hindurchtragen.
Können Sie sich an Worte Jesu – an Jesus Geschichten – an Geschichten aus der Bibel erinnern, in denen Gott die Menschen geleitet hat? Hat Sie so eine Geschichte einmal ermutigt? Vielleicht auch Kraft für eine bestimmte Entscheidung gegeben? Was trägt Ihre Entscheidungen, Ihre Taten?
Wir werden aufgefordert unser Leben in Jesus zu gründen. Darauf zu vertrauen, dass seine Sicht auf Gott uns Lebenskraft und Aussicht schenkt. Frauen in Vanuatu haben das erlebt oder erhoffen es sich noch für ihre Zukunft. Ich vertraue darauf, dass Gottes Wort uns durch alle Zeiten trägt.
Pfarrer Jan Ehlert aus dem Gemeindebrief 1-2021
Was fängt man nur
mit solchen Gaben an?
Oder:
Auch eine heilige Familie braucht Geld.
In meiner Kindheit war es in der Advents- und Weihnachtszeit ein kleiner Höhepunkt, wenn irgendwer die Geschichte von den Herdmanns erzählte und wie diese sechs angeblich „schlimmsten Kinder aller Zeiten“ im Krippenspiel zu Weihnachten statt Gold, Weihrauch und Myrrhe einen große Schinken an die Krippe brachten. Schlicht und einfach, weil sie keine Ahnung hatten, was so ein Kind mit diesen drei seltsamen Gaben machen sollte.
Insgesamt erinnere ich mich, fand ich die Geschichte von den drei Weisen, auch abseits der Herdmanns, eine tolle Geschichte. Ich stellte mir gerne vor, wie die drei über die dreckige Wiese stapften und ihre hoch-herrschaftlichen Gewändern durch jede Menge Schafskacke schleiften. Auch heute denke ich noch, dass das eine theologisch wunderbare Spitze dieser Geschichte ist, auch wenn der Evangelist Matthäus das gar nicht so genau schreibt: Man kommt nicht prunkvoll zu seinem Gott.
Heute weiß ich um die Bedeutung der Geschenke. Weihrauch und Myrrhe sind teure Harze, die man in der antiken Medizin bei allerlei Krankheiten einsetzte, sofern man es sich denn leisten konnte. Es sind letztlich Luxusgeschenke, die die drei Besucher dem kleinen Jesus dort vor die Füße legen. Und man stellt sich dann die Frage, was Jesus bloß damit gemacht haben mag. Die Verwendung eines Schinkens kann ich mir deutlich besser vorstellen – da gebe ich den sechs Kindern aus der Herdmannfamilie recht.
Auch Matthäus, der Evangelist, der uns diese Geschichte überliefert hat, bleibt uns eine Antwort schuldig. Und doch gibt der weitere Verlauf der Geschichte einen Hinweis, mir jedenfalls: Matthäus erzählt von einem Kind, das flüchten muss vor Gewalttätern. So stelle ich mir vor, dass die teuren Geschenke alsbald zu Geld gemacht wurden. Denn wer den bewaffneten
Sicherheitskräften eines Herodes und seinen Plänen für einen breit angelegten Kindermord entkommen will, der braucht Geld. Das Gold, der teure Weihrauch, die wertvolle Myrrhe alles geht bei der Flucht nach Ägypten drauf. Nicht anders als heute.
Pfarrerin Christiane Birgden aus dem Gemeindebrief 4-2020
Der Herr behüte deinen Ausgang
und deinen Eingang
Den letzten Weg
mit Würde begleiten
Meine erste Beerdigung als Vikarin auf einem Kölner Friedhof war eine Bauchlandung. „Wir singen aus unserem Gesangbuch Lied Nummer …“. Die Gottesdienstgemeinde schaute mich hilflos an. Aus welchem Gesangbuch? In Köln sind die Friedhöfe städtisch. Da gibt es keine Gesangbücher.
Beerdigungen haben sich verändert. Früher waren sie eine große Feier. Das ganze Dorf kam zusammen. Man sah sich und es wurde kräftig gesungen. Im Anschluss gab‘s Brühe, Streuselkuchen und Schnittchen. Heute kann man einen Verstorbenen ganz ohne Trauerfeier und anschließender Zusammenkunft verabschieden – was heißt verabschieden? Ein Bekannter, der nicht religiös ist, hat das gemacht. Der Opa starb, der Bestatter holte ihn ab, der Friedhofsgärtner brachte ihn unter die Erde. Als dann kurz darauf sein Vater starb, fragte er: „Kannst du nicht doch?“ Es hatte doch etwas gefehlt.
Die Form der Beerdigung, wie wir sie heute kennen, hat sich über einen langen Zeitraum entwickelt und ich staune immer wieder über ihre kanalisierende Wirkung. Praktisch besteht sie aus zwei Teilen: dem persönlich-biograhischen und dem reinen Ritual am Grab. Beides hat seinen Sinn. Im ersten Teil versuchen wir Person und Bibelwort zu verbinden und den Verstorbenen oder die Verstorbene noch einmal spürbar zu machen. Immer häufiger bringen sich Angehörige mit ein: Da gibt‘s die Packung Mon Chérie, weil die der Opa gerne mochte, oder die UNO-Karte, weil man das bis zuletzt miteinander gespielt hat. Es wird geweint und oft auch gelacht, weil das Leben immer beides ist: Lachen und Weinen. Am Grab dagegen ist jedes Wort zu viel. „Erde zu Erde …“ und dann die Aussegnungformel aus Psalm 121: „Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an in die Ewigkeit.“ Hier sprechen Gesten und Symbole: Der Erdwurf, der den Anfang der ganz praktischen Beerdigung macht, und die Segensgeste, die alle Anwesenden in die Trauer und in ihr Leben entlässt.
Ich möchte nicht verschweigen, dass die Abnahme der Kirchlichkeit hier auf dem Friedhof am deutlichsten zu spüren ist. Es kommt vor, dass ich alleine das Vaterunser spreche. Das tut schon weh. Dass nicht mehr auf jeder Trauerfeier gesungen wird, daran habe ich mich schon gewöhnt, auch wenn es mit Gemeindegesang viel schöner ist. Wir singen ja auch zum Geburtstag, warum nicht auch zum Ausgang aus diesem Leben?
Immer wieder gibt es berührende Momente. Ich erinnere mich an den 92-jährigen Mann, der am Grab seiner 96-jährigen Schwester „Brüderchen, komm Tanz mit mir“ singt. „Das haben wir immer gesungen, als wir Kinder waren.“ Oder die Mutter, die Worte für ihr viel zu früh gestorbenes Kind findet. Momente, die nur entstehen, wenn wir bereit sind, auch dem letzten Weg Raum, Würde und Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bin mir sicher: Wenn wir das nicht machen, bleibt etwas offen.
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass in der letzten Zeit immer häufiger Trauerfeiern in unseren Kirchen stattfinden. Wir Pfarrerinnen und Pfarrer laden ausdrücklich dazu ein. Es ist ein Phänomen der 50er-Jahre, dass die Trauerfeiern aus den Kirchen in die Friedhofshallen verlegt wurden. Das lässt sich bestimmt nicht mehr rückgängig machen. Es wird ja nicht mehr um die Kirche herum beerdigt. Aber wenn jemand sehr mit dem Kirchraum verbunden ist oder ein Verstorbener später anonym oder auf See bestattet wird, kann die Trauerfeier in einer unserer Kirchen stattfinden. Unsere Kirchen sind für unsere Gemeindeglieder kostenlos. Wir, Ihre Pfarrerinnen und Pfarrer, begleiten Sie gern, wenn Sie von einem oder einer Angehörigen Abschied nehmen müssen. Manche treffen auch im Vorhinein mit uns Absprachen.
Anmerkung der Redaktion:
Mehr und mehr wollen Menschen Ihren letzten Weg selbst planen. Es ist für sie beruhigend zu wissen, dass alles geregelt ist und den Kindern macht es diesen schweren Weg etwas leichter. Auch bei diesen Überlegungen sind wir gerne ganz an Ihrer Seite.
Pfarrerin Franziska Boury aus dem Gemeindebrief 3-2020
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln
Wir werden begleitet und getragen
in den schönen und den verunsichernden Momenten des Lebens
Früh am Morgen höre ich die Vögel zwitschern, die Sonne scheint warm in mein Büro. Die Welt wirkt ganz friedlich und die Sommerferien stehen schon vor der Tür. Darauf freue ich mich. Wenn meine Reiseziele gelingen, werden sie mich an meine Kindheit erinnern. Ich liebe das Wasser und es geht ans Meer – nicht an den Pazifischen Ozean und doch ans Meer.
Wasser berührt mich. Egal ob Seen, Meere, Wasserfälle, Flüsse: in der Nähe von natürlichen Wasserquellen fühle ich mich pudelwohl und natürlich bin ich mir bewusst, dass bei all der Schönheit und Lebenskraft im Wasser auch eine furchtbare und lebensraubende Kraft steckt.
Mit zehn oder knapp elf Jahren ging ich zum ersten Mal im Pazifik schwimmen. Die Wellen des Meeres haben eine enorme Kraft und Schönheit und sind auch gefährlich. Es war toll herauszufinden, dass man drunter her tauchen konnte oder sich nach oben tragen lassen konnte, um auf der anderen Seite wieder herunter zu rutschen. Für beides brauchte man das Gefühl für den richtigen Zeitpunkt. Ich wurde auch einmal von einer Welle erwischt, wurde umhergewirbelt, verlor mein Körpergefühl und dachte, das war´s. Und dann wurde ich an den Strand gespült, voller Sand und Salz. Für diesen Tag hatte ich genug vom Pazifischen Ozean. Im Laufe meiner Teenager-Zeit habe ich es immer wieder von Neuem gewagt. Manchmal mit lustvollen Erlebnissen, manchmal mit der Wiederholung der schlimmen Erfahrung. Die Strände waren ja zum Schwimmen freigegeben und es ging immer um die normale Brandung.
Wir haben Sommer. Reisen werden vorbereitet. Es gibt Zeit Pläne zu schmieden, wenn die Arbeitswelt etwas ruhiger ist. Und bei all der Schönheit, die wir im Sommer erleben, gilt für diese Wochen genauso wie für das Meer. Es gibt die lustvollen, lebensreichen Momente im Leben genauso, wie die gefährdeten. Und dann ist es gut zu wissen und darauf zu vertrauen, dass Gott uns begleitet in jeder Lebenssituation auf die grünen Auen und zum frischen Wasser, genauso wie durch die dunklen Täler und dem täglichen Brot im Angesicht der Feinde.
„Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln, er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser, er erquicket meine Seele… und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, dein Stecken und Stab trösten mich…du bereitest einen Tisch im Angesicht meiner Feinde, … und ich werde bleiben im Hause GOTTES immerdar.“
(Die Bibel aus Psalm 23)
Vikarin Janneke Botta aus dem Gemeindebrief 2-2020
Ich bin
dann mal weg
Vom Wachsen
und Umtopfen
In meinem ersten Semester des Theologiestudiums schenkte mir die Sekretärin der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal einen kleinen Steckling. Sie hatte ihn selbst gezogen, aus einem Mandarinenkern. Behutsam habe ich das Pflänzchen mit in mein Wohnheimzimmer genommen, es ans Licht gestellt und dann und wann gegossen. Bald schon brauchte es einen größeren Topf. Dann ist es mit mir umgezogen an die nächsten Studienorte. Und heimlich vor sich hin gewachsen.
Seit drei Jahren steht die Pflanze jetzt in meinem Wohnzimmer in Hürth. Und sie ist mittlerweile bald so groß wie ich. Neulich habe ich sie mal wieder umgetopft, neue Erde eingefüllt, ein paar querwachsende Zweige rausgeschnitten, damit die anderen mehr Platz bekommen. Und ich hab‘ das Bäumchen gedüngt, damit es gut weiter wachsen kann, gerade jetzt im Frühjahr.
Mir wird es in diesem Frühjahr ganz ähnlich ergehen wie meinem Mandarinenbäumchen. Ein Ortswechsel steht an – ich werde quasi umgetopft. Denn mit dem Ende des Vikariats endet auch meine Zeit in Hürth, so sieht es die Landeskirche vor. Ein großer Umbruch also. Und der bereitet mir Vorfreude, aber auch Wehmut. Denn ich bin gerne hier in Hürth – vor allem wegen Ihnen, den Menschen, die mir in der Gemeinde begegnet sind.
Die Gemeinde war ein sehr nährreicher Boden für mich. Ich habe hier wahnsinnig viel gelernt und bin gewachsen, manchmal sogar über mich hinaus. Jetzt braucht es einen neuen Topf, einen neuen Ort, an dem ich als Pfarrerin arbeiten und hoffentlich weiter wachsen werde.
Hürth deshalb hinter mir zu lassen, das fühlt sich auch ein bisschen so an, als würde einer ein schöner Zweig aus dem Gehölz geschnitten. Aber vielleicht braucht es auch immer wieder diese Veränderungen, diesen neuen Boden unter den Füßen und Platz, um weiter wachsen zu können.
In Psalm 1 heißt es: Der Mensch, der an Gott glaubt, ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.
Pfarrer Jan Ehlert aus dem Gemeindebrief 1-2020
Keine
halben Sachen
Mach‘s wie Gott,
werde Mensch
Halbe Sachen sind wirklich nicht Gottes Art, wird Josef wohl gedacht haben, als er nach durchwachter Nacht dem Kind die stinkenden Windeln wechselte. Wahrer Mensch. Das war dieses Kind. Kein Wort davon, ob der kleine Jesus besonders niedlich war oder mit drei Jahren schon die hebräische Bibel auswendig konnte. Erzählt wird: Der Sohn Gottes wird geboren wie jeder und jede andere auch. Von einer jungen Frau, mit einem Mann an ihrer Seite, der zwischenzeitlich sogar überlegt einfach die Biege zu machen.
Nochmal: Es geht um die Geburt eines Kindes, nicht um die weltbewegende Tat eines starken Mannes, nicht um die kühne Entdeckung eines Weisen, nicht um das fromme Werk eines Heiligen. Ich vergesse das gerne immer wieder und manch anderer und andere um mich herum offenbar auch, wenn ich mir all das fragwürdige Bemühen um Selbstoptimierung ansehe: Yoga, Fitness und Coaching findet sich an jeder Ecke. Denn der Wunsch ist da: Vielleicht habe ich ja auch mal die Chance bei einem Casting zu landen. Als singender Superstar, als Supertalent oder als Topmodell.
Ich brauche darum immer wieder die Erinnerung daran: Topmensch wird man nicht durch Selbstoptimierung oder Sich-gegenseitig-Ausstechen in einer Show. Es sei denn es gäbe eine Show, in der alle möglichst so menschlich sein müssen wie Jesus. Denn wahre Menschlichkeit entsteht durch Maßnehmen am Leben Jesu.
Gott macht eben keine halben Sachen und das gilt auch für uns. Wir sind gut wie wir sind. Das wusste auch Gott, als er sich damals in die Krippe legte. Also los: „Mach‘s wie Gott, werde Mensch!“
Pfarrerin Franziska Boury aus dem Gemeindebrief 4-2019
All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad und große Treu
Neu anfangen
geborgen in Gott
All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad und große Treu;
sie hat kein End den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag. (eg 440,1)
Abschied und Neuanfang – in jedem Gemeindebrief in diesem Jahr hat uns dieser Titel begleitet. Und Abschiede und Neuanfänge haben das Gemeindeleben in diesem Kirchenjahr geprägt – haben das Leben Vieler in der Gemeinde geprägt. Bei Umzügen und Taufen – Trauungen – Beginn der Konfirmandenzeit und Abschluss – Trauerfeiern und Beerdigungen. Der Verabschiedung von Pfarrerin Ute Grieger-Jäger und Pfarrer Tom Hennig und die Neuanfänge von Pfarrer Jan Ehlert und Pfarrerin Franziska Boury – mir. Neuanfang? Abschied?
Ja, auch ich stehe vor einem Neuanfang, auch wenn ich schon seit zweieinhalb Jahren in der Gemeinde arbeite. Bisher lautete mein Auftrag Pfarrer Tom Hennig zu vertreten – ab August heißt es eine der drei Gemeindepfarrer*innen der Evangelischen Kirche Hürth zu sein. Das bedeutet in anderer Form Verantwortung zu übernehmen – frei in die Zukunft planen zu können – Neues zu gestalten und das ein oder Andere zu lassen. Das bedeutet auch meine alte Nachbarschaft in Erftstadt-Niederberg zu verabschieden und nach Hürth zu ziehen. Und so liegt auch in vertrauten Dingen des Lebens oft ein Abschied und ein Neuanfang.
Und wie gesagt – wir alle kennen die unterschiedlichsten Abschiede und Neuanfänge in unserem Leben. Dass diese gelingen können, dass wir sie nicht alleine gestalten müssen, dass wir Kraft für ihre Gestaltung bekommen – liegt für mich in dem Vertrauen auf Gottes Treue zu uns. Das mag sich wie ein frommer Schlenker anhören, aber für mich ist das Beten und am allerliebsten das gesungene Gebet eine große Kraftquelle: wenn die Texte wie ein Mantra in mir nachklingen und ich erinnert werde, dass jeder Tag ein Geschenk ist und dass in der Unberechenbarkeit jeden Tages – jeden Jahres –am Ende trotz aller Pläne und Vorbereitungen die Gnade und die Treue Gottes steht, die mein ganzes Leben umfängt und trägt.
Pfarrerin Christiane Birgden aus dem Gemeindebrief 3-2019
So schmeckt der Sommer
Der Geschmack schwarzer Johannisbeeren
Wissen Sie, wie schwarze Johannisbeeren schmecken? Schwarze Johannisbeeren – eigentlich mag ich die gar nicht. Aber so schmeckt für mich der Sommer.
Der Onkel einer Grundschulfreundin hatte bei uns im Dorf eine Gärtnerei. Im Sommer waren wir oft dort und streunten zwischen Treibhäusern und Bohnenstangen herum. Oft gab es was zu helfen: Erbsen puhlen, Bohnen fädeln. Am liebsten halfen wir bei der Ernte der Beerenbüsche. Das taten wir gern, denn gleichsam als Lohn für unsere Arbeit durften wir von den reifen Früchten so viel essen, wie wir wollten. Angesichts der endlosen Reihen von Beerenbüschen fiel das, was wir aßen, nicht wirklich ins Gewicht und so war es ein guter Deal für alle.
Also pflückten wir, pflückten, bis sich die Körbe füllten. Zunächst quatschten meine Freundin und ich noch, was Grundschülerinnen eben so zu bequatschen haben. Aber dann wurden wir immer stiller und stiller, weil die vordergründig eintönige Arbeit uns immer ruhiger werden ließ. Erst die tief stehende Sonne erinnerte uns daran, dass wir flugs nach Hause mussten.
Geblieben ist der herb-süße Geschmack der schwarzen Johannisbeere. Vor ein paar Jahren habe ich mir einen Busch in den Pfarrgarten gepflanzt. Nicht weil ich die Beeren besonders gern mag, sondern vielmehr um mich zu erinnern an die Sommer, die endlos schienen, damals in meiner Kindheit. Wenn ich jetzt oft von Termin zu Termin hetze, pflücke ich mir gelegentlich eine dieser Wunderbeeren. Und die lässt mich erinnern, dass es mal einen anderen Rhythmus gab und der Geschmack lässt mich Anteil haben an dieser längst vergangenen Zeit.
Es ist ein besonders gnädiges Geschenk Gottes, dass er uns in Geschmäckern, Gerüchen und Klängen längst vergangenen Zeiten nah sein lässt, deren Unbeschwertheit noch heute heilsam und wohltuend in unsere Gegenwart wirkt. Wie schmeckt, duftet oder klingt für Sie der Sommer? Erzählen Sie mir davon!
Pfarrerin Ute Grieger-Jäger aus dem Gemeindebrief 2-2019
Kinder,
wie die Zeit vergeht!
„Meine Zeit
steht in deinen Händen…“
In meinem Schrank für allerlei kleine und größere Symbole für Gottesdienste besonders mit Kindern findet sich eine kleine Sanduhr. Von Zeit zu Zeit hole ich sie hervor, immer dann, wenn etwas Neues beginnt, ein Schuljahr bei den Kindern, ein Schulwechsel, der gerade jetzt wieder in vielen Familien bedacht wird.
Die kleine Sanduhr: ich finde es immer wieder reizend, sie zu betrachten. Der Reiz liegt für mich darin, wahrzunehmen, wie heilsam es sein kann, sie anzuschauen.
In früheren Genrationen haben die Menschen die Zeit mit der Sanduhr gemessen. Heute haben wir ganz andere Möglichkeiten. Wir haben Quarzuhren, Atomuhren. Bis auf die Sekunde genau geben sie uns die Zeit an. Diese Uhren muss man nicht umdrehen wie eine Sanduhr oder aufziehen wie eine mechanische Uhr. Sie laufen nicht ab, sie laufen einfach weiter, immer weiter – und weiter – endlos. Nach unserem heutigen Empfinden ist die Zeit wohl auch ein gleichbleibendes Kontinuum: Es geht immer weiter so.
Und dennoch! Wir machen ganz andere Erfahrungen: Ein Tag geht zu Ende, ein Jahr, ein Leben. Unsere Zeit ist befristet. Und nicht nur unsere persönliche Lebenszeit findet ein Ende, sondern die Zeit überhaupt.
Die Menschen früherer Zeiten hatten das vielleicht unmittelbarer vor Augen als wir heute, wenn sie auf eine Sanduhr blickten – wie auf den Bildern des Barock zum Beispiel.
Der Sand rinnt aus dem oberen Glas in das untere. Die Zeit verrinnt, sichtbar. Sie wird weniger. Sie läuft ab. Sie geht nicht unendlich lang. Sie ist endlich. Die Zeit ist wie ein begrenzter Vorrat, an Tagen, Wochen,…, Jahren. Ein Vorrat, der uns geschenkt ist. Was machen wir mit der uns geschenkten Zeit? Wir können sie zum Beispiel versilbern: Zeit ist Geld, sagen wir. Wir können sie vertreiben oder auch vertun. Wir können sie sogar totschlagen.
Und wir können sie verschenken. Zeit kann ein wunderbares, richtig kostbares Geschenk sein, das wir füreinander haben. Denn mit der Zeit geben wir nicht nur irgendetwas, sondern wir uns selbst.
„Wo bleibt nur die Zeit?“, frage ich mich manchmal.
Die Sanduhr kann ein Zeichen werden. Der Sand, der aus dem oberen Glas in das untere rieselt, läuft ja nicht ins Bodenlose, ins Leere. Die Zeit läuft nicht weg. Sie wird aufgefangen und gesammelt. Sie verläuft nicht im Sand.
In dem wunderbaren Psalm 31 lese ich: „Meine Zeit steht in Gottes Händen…“ So wie in der Sanduhr das untere Glas den Sand auffängt, so hält mich Gott in seinen Händen. All meine Zeit und alles Erlebte ist darin sichtbar gehalten.
Pfarrerin MbA Franziska Boury aus dem Gemeindebrief 1-2019
Neuanfang – Alle Jahre wieder…
Advent einmal anders
Biblische Verse
neu (anders) betrachtet
Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes;
Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihn fürchten.
Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unseren Vätern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.
(Bibel Lk 1, 46b-55)
Erheben, freuen, ansehen, sehen, preisen, tun, sein, währen, fürchten, üben, zerstreuen, stoßen, füllen, lassen, ausgehen, gedenken, helfen, reden. Wenn Sie diese Verben lesen, was fällt Ihnen dazu ein? Bleibt der Blick auf einem Wort? Klingt etwas nach? Wenn Sie mögen, halten Sie inne, bevor Sie weiterlesen, und halten in Ihrem Inneren Ihre Gedanken fest. Erheben, freuen, ansehen, sehen, preisen, tun, sein, währen, fürchten, üben, zerstreuen, stoßen, füllen, lassen, ausgehen, gedenken, helfen, reden. Sein – „Sein oder nicht Sein, das ist hier die Frage.“ Oder geht es eigentlich um die Qualität des „Seins“ – „Wie man ist?“ Währen – ein altes Wort. In meiner Alltagssprache kommt es gar nicht mehr vor. Ein kirchliches Wort. Etwas, das Bestand hat. Bis in alle Ewigkeit ist. Auf jeden Fall kein Neuanfang – ein Immer-Sein. Üben – eher ein Neuanfang und eine Aufgabe für die Zukunft. Üben hat etwas damit zu tun, dranzubleiben, nicht aufzugeben, etwas zu verbessern oder zu verfeinern. Freuen/ preisen/fürchten: Verben, die starke Gefühle in sich tragen. Verben, die viel Lebensenergie in sich tragen. Gesichter und Körper geben diesem Tun einen starken Ausdruck. Helfen: Unsere christliche Tugend? Oder eine selbstverständliche menschliche Erwartung?
Vielleicht sind Ihnen ganz andere Verben ins Auge gesprungen und Sie haben ganz andere Assoziationen gehabt.
Die Verben stammen alle aus dem Loblied der Maria, als sie Elisabeth besucht. Zwei schwangere Frauen begegnen sich, für beide ist es ein Neuanfang, sie werden zum ersten Mal Mutter, die jüngere und die ältere Frau. Möglicherweise fürchten sich beide ein wenig. Die Ältere, weil sie schon so viel erlebt hat, schon so viele Erfahrungen gesammelt hat, ihre Lebensweisheit in sich trägt und weiß, dass man weniger im Leben bestimmen kann, als man meint. Die Jüngere, weil noch gar nichts klar ist. Sie ist gerade einmal verlobt. Die ganze Zukunft ist noch offen – es ist nichts geplant. Und wahrscheinlich freuen sich beide auf diesen Neuanfang. Gott macht an beiden ein Versprechen wahr. Gott hat sich in beide Leben eingemischt. In das von Elisabeth und Zacharias, ihr Leben wird in ihrem Sohn fortgeführt. Der Segen für das Leben kann weitergegeben werden. Er schenkt beiden sein Wunder. Und er mischt sich in das Leben von Maria und Josef ein. Ein Kind – sie müssen schneller zusammenwachsen als Familie als geplant. Sie müssen zusammenhalten für die Volkszählung, für die Verfolgung durch Herodes, zum Schutze ihres Sohnes. Und mit Jesus mischt sich Gott in unser Leben ein. Rührt auf! Rüttelt auf! Lässt Lebensweisheit und Unerfahrenheit innehalten, um Neues über das Wunder des Lebens – für alle Menschen – für die ganze Schöpfung zu erfahren.
Vikarin Janneke Botta aus dem Gemeindebrief 4-2018
Erntedank und die Ehrfurcht vor dem Leben
„Lasst uns nicht lieben mit Worten oder Lippenbekenntnissen,
sondern mit der Tat und mit der Wahrheit“ (1. Johannesbrief 3,18)
Der Sommer liegt in seinen letzten Zügen ebenso wie die Ernte auf den Feldern um uns herum. Die Landwirte im Rhein-Erft-Kreis sind gerade auf Hochtouren mit der Apfel-, Kartoffel- und Kohlernte beschäftigt. Über die Vielfalt an Lebensmitteln in den Supermärkten und auf unseren Tellern kann man nur staunen. Die moderne Landwirtschaft macht viel möglich. Von Datteln bis Drachenfrucht, von Pastinake bis Petersilie bleibt beinah kein kulinarischer Wunsch unerfüllt. Wer selbst schon einmal gegärtnert hat, weiß, dass für einen blühenden Garten botanisches Wissen und fachkundige Pflege zwar sehr hilfreich, aber noch lange kein Garant für das Gelingen sind. Denn manches gelingt und schlägt Wurzeln, anderes verrottet und wird wieder eins mit der Natur. Die Vielfalt der Natur ist fragil und kostbar, ihr Gedeihen ist von so vielen Faktoren abhängig. Deshalb feiern wir Christinnen und Christen jedes Jahr aufs Neue Erntedank. Wir danken Gott dafür, was seine Schöpfung uns schenkt. Als Zeichen dafür singen und beten wir und feiern gemeinsam Gottesdienst.
Der Autor des 1. Johannesbriefes legt uns noch etwas anderes nahe. Er schreibt: „Lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit Lippenbekenntnissen, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit“. Er versteht Liebe, Wertschätzung und Dank nicht als abstraktes Geschehen. Vielmehr fordert er uns auf, unsere Beziehungen zueinander und zu Gott nicht allein auf einer geistigen Ebene zu pflegen, sondern als Christinnen und Christen tätig zu werden. Indem wir unsere von Gott geschenkten Talente lebendig machen, bringen wir unsere Wertschätzung und unseren Glauben zum Ausdruck.
Wie kann das gelingen? Gott begegnet uns als ein Gott der Freiheit. Wir selbst sind gefragt, unsere Talente zu entdecken und sie nach unseren Möglichkeiten einzusetzen. Zum Glück sind uns dabei bereits Menschen vorausgegangen, die inspirierende und wegweisende Spuren hinterlassen haben.
Albert Schweitzer hat als Arzt und Theologe eine Ethik entwickelt, die expliziter Ausdruck seiner Dankbarkeit für Gottes Schöpfung war. Er empfand sich selbst als „Leben, das leben will, inmitten von Leben, das Leben will“. Er wusste, dass die Erhaltung des Lebens ohne Zerstörung des Lebens nicht möglich ist. Trotzdem reflektierte Schweitzer all sein Handeln in Bezug auf andere Lebewesen immer wieder von Neuem. Die Ehrfurcht vor dem Leben bestimmte sein Leben und seinen Glauben. So verbrachte er die Nächte in der Schwüle des Urwalds bei geschlossenem Fenster aus der Sorge, dass ein Insekt in der Flamme seiner Öllampe verbrennen könnte. Er machte lebendig, was Gott im ersten Schöpfungsbericht Adam und Eva aufträgt: Als Menschen stehen sie und wir in der Verantwortung für die Pflege und Bewahrung von Gottes Schöpfung, für das Wachstum von Tieren, Pflanzen und Menschen.
Albert Schweitzer zeigt, wie die Dankbarkeit für Gottes Schöpfung, für die Vielfalt unserer Äcker und Kühlschränke Teil unserer Lebens- und Glaubenspraxis als Christinnen und Christen werden kann. Wie schön, wenn wir uns an Erntedank daran erinnern, dass wir nicht nur Empfangende sind, sondern auch Schenkende, dass Gott uns reich ausgestattet hat mit Talenten und Möglichkeiten, die wir in seinem Namen wieder fruchtbar machen können.
Deshalb: Lasst uns nicht danken mit Worten oder Lippenbekenntnissen, sondern mit Ehrfurcht vor allem Leben!
Diakon i.R. Helmut Werner aus dem Gemeindebrief 3-2018
GEDANKEN
NICHT NUR FÜR DEN URLAUB
„Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer …“ Psalm 139,9:
… so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ (Die Bibel, Altes Testament, Psalm 139,9.10)
In den Zeiten, in denen viele von uns jährlich mehrfach in einen Flieger steigen, um über der Morgenröte, über den Wolken in entlegene Urlaubsgebiete zu fliegen, wirken diese Psalmworte schon fast überholt – und doch gleichzeitig wieder tröstlich. Denn sie verweisen uns auf unsere Gottesbegegnung selbst am weitest entfernten Horizont, den wir uns vorstellen können.
Der Verfasser dieses Psalms kannte keine Flugzeuge und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie weit der Pazifische Ozean sein könnte. Aber er hatte ein Gespür dafür, wie es ist, wenn es einen ganz weit weg verschlägt. Weit weg von der Heimat, von dem was man kennt und liebt, oder auch weit weg von dem, was man als geistige Heimat kennt.
Nicht wenige Flüchtlinge fühlen sich so. Da ist man ganz schnell allein und verlassen – und sehnt sich nach einem vertrauten Gegenüber, einem „Du”, mit dem man über seine Gedanken und Gefühle sprechen kann. Diese Erfahrung machen wir und sicher auch viele andere, die Flüchtlinge eine Zeitlang begleiten.
Die Worte des Psalms gelten aber natürlich nicht nur Flüchtlingen. Ob jemand gerade im Ausland im Urlaub ist oder innerhalb Deutschlands unterwegs oder nur ein Dorf weiter am PC diese Zeilen liest – er ist wie ich von Gott begleitet. Dieses zuversichtliche Gebet verbindet uns alle als Glaubensgemeinschaft untereinander.
Der Psalmbeter wendet sich aber auch an die, die manchmal vor Gott fliehen wollen, weil sie ihn satt haben. Weil sie keine Chance haben, das Leben zu verstehen und an ihrem Gottesbild verzweifeln. Und er sagt: „Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.“ Und dann folgen die schon erwähnten Verse: „Nähme ich
Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“
Die Flucht vor Gott ist also nicht erfolgversprechend, aber eben auch nicht nötig – denn Gott ist als das Licht des Lebens, der Fels in der Brandung – überall.
Mit diesem Vertrauen im Gepäck kann man sich aufmachen in die Weiten dieses Lebens. Auf die Ozeane, in die Wüsten, in die pulsierenden Zentren der Welt und in die Turbulenzen unseres inneren Lebens.
Vielleicht werden unsere Kinder oder Enkelkinder ja tatsächlich einmal auf der anderen Seite des Globus ihre Heimat finden. So dass wir gerade noch durchs Internet mit ihnen in Kontakt stehen können und spüren, dass sie dort ein ganz anderes Leben führen, als wir hier in Hürth;
aber doch ist unser gemeinsamer Gott an ihrer Seite.
Vielleicht werden sie einmal mit ihrer Sicht der Welt und ihren Werten ganz woanders landen als wir. Aber auch dann dürfen wir uns sagen lassen, dass auch dort
Gottes Hand sie führen und seine Rechte
sie halten wird.
Was auch geschieht, für alle gilt diese starke Erkenntnis: Du, Gott, bist da! Wo immer ich bin. Wenn ich dir weggelaufen bin – du bist da. Wenn ich in die Sackgasse geraten bin – du bist da. Wenn ich mich verlaufen habe – du bist da. Wenn ich mich versündigt habe – du bist da. Wenn nichts mehr geht – du bist da. Im Operationssaal – du bist da. Im Gerichtssaal – du bist da. Du wirbst um uns, bis wir zur Besinnung kommen, bis wir dich suchen und uns deiner Zärtlichkeit endlich überlassen.
Pfarrerin Christiane Birgden aus dem Gemeindebrief 2-2018
Osterpredigt
am Krankenbett
Gott will,
dass wir leben!
In der Regel ist es ja so, dass die Pfarrerin oder der Pfarrer der Gemeinde predigt. Sonntags auf der Kanzel. So kennt man das. Manchmal ist das aber auch umgekehrt, da predigt die Gemeinde dem Pfarrer oder der Pfarrerin, und das ist gut so, denn nach Luther ist jeder Christ, jede Christin zum Zeugnis gerufen. Und das nicht nur in der Kirche oder im Gemeindekreis, sondern an jedem Ort. Wie damals, als ich im Rahmen meines Vikariats als Krankenhausseelsorgerin im Diakoniekrankenhaus in Bad Kreuznach eingesetzt war.
„Gehen Sie da mal hin“, hatte mir die Stationsschwester gesagt: „Totaloperation, 35 Jahre“. Als ich mich als Krankenhausseelsorgerin vorstellte, sagte sie, dass sie mit Kirche nichts zu tun habe.
Doch dann erzählte sie: Mit dem Kinderkriegen sei es nun vorbei. Ihr ganzer Unterleib sei vereitert gewesen, nicht erkannt. Von Arzt zu Arzt sei sie gegangen, doch immer als Mimose nach Hause geschickt worden. „Trinken Sie mal ´nen Kamillentee!“
Als sie ins Krankenhaus kam, sei es fast zu spät für sie gewesen, weil die Entzündung inzwischen die anderen Organe angegriffen hatte. Doch dann sei ihr der Satz gekommen, dass Gott ein Gott des Lebens sei und nicht des Todes. Dass Gott will, dass sie lebt.
An diesen Satz habe sie sich geklammert. Und er half ihr auch durch die Vielzahl der Operationen, die folgten. Dass Gott das Leben will und nicht den Tod, glauben Sie das?
Als sie das sagte, lachte sie verlegen, und hielt sich die Narbe auf ihrem Bauch, der noch von der OP angeschwollen war.
Es war kurz vor Ostern, als mir die junge Frau ihre Geschichte erzählte. Eine Geschichte von Tod und Leben. Von ihrem persönlichen Überleben und dem gleichzeitigen Sterben von Möglichkeiten und Lebensperspektiven. Dass Gott ein Gott des Lebens ist, dieser Satz ist mir von damals so eindrücklich hängen geblieben. Für mich fasst sie den Kern der Osterbotschaft zusammen:
Jesus lebt! Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Und er will, dass wir auch leben. Schon jetzt!
Pfarrerin Uta Grieger-Jäger aus dem Gemeindebrief 1-2018
VOM HIMMEL
HOCH
Die Himmelsbotschaft
im Lärm des Alltags heraushören
„Vom Himmel hoch“ kommt einiges auf uns herab. Da hören wir z.B. die freundliche Stimme des Navi: „Nach 100 Metern links abbiegen. Sie haben das Ziel erreicht.“ Über Satellit empfangen wir Sendungen von Sky-TV, Disney-Channel, ARD, ZDF, RTL und weiteren TV-Sendern, ganz zu schweigen von den vielen Angeboten der Smart- und I-Phones mit Unmengen von News und Fake-News.
Würde man all das, was uns über Satellit vom Himmel hoch angeboten wird, gleichzeitig hören, wir wären einem ohrenbetäubenden Lärm ausgesetzt: unmöglich darin eine Stimme zu hören, die uns eine Botschaft oder Nachricht übermitteln könnte.
Wer eifrig die Medien und sozialen Netzwerke nutzt, steht vor der fast unmöglichen Aufgabe, aus diesem Informationschaos für sich eine Botschaft herauszufiltern, die wirklich wichtig ist. Und um Fake-News von echten Nachrichten zu unterscheiden, muss man fast schon ein Medienprofi sein. Mit Himmelsbotschaften verschiedenster Art sind wir wirklich gut versorgt durch Satellit und unsere Empfangsgeräte hier auf der Erde.
Zur Weihnachtszeit schalten wir dann auf altbewährtere Himmelsbotschafter um. „Vom Himmel hoch“ kommen dann aus der religiösen Parallelwelt die Botschaften der Engel zu uns. Aus den schönen alten Kirchenliedern und in der sehr alten Bibel erreicht uns ihre Botschaft. Wir brauchen keine technischen Geräte, um die Botschaft der Engel zu empfangen. Auch legen sie wert auf eine persönliche Begegnung. Oft ist ihr Erscheinen mysteriös und löst deshalb zunächst einmal Angst aus.
Beruhigend beginnt dann ihre Botschaft mit den Worten: „Fürchte dich nicht!“ Im Matthäus-Evangelium wird berichtet, dass Maria schon in ihrer Verlobungszeit schwanger wurde. Wegen dieser „Schande“ wollte Joseph sie heimlich verlassen. Im Traum erscheint ihm ein Engel mit der Anrede: „Fürchte dich nicht!“ Er bestärkt Joseph darin, bei Maria zu bleiben, ihr Sohn werde der künftige Messias Israels sein.
Im Lukas-Evangelium spricht der Engel Gabriel Maria respektvoll und höflich an: „Sei gegrüßt, du Begnadete!“ Doch sie ist zunächst alles andere als erfreut über die Botschaft, dass sie die Mutter des göttlichen Kindes sein wird. Auf Marias Einwand, dass sie von keinem Mann wisse, verweist der Engel sie an ihre Verwandte Elisabeth, die in hohem Alter schwanger wurde. Seine Begründung: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich!“
Viele Himmelsbotschaften erreichen uns täglich auf technischem Wege. Eine unendliche Informationsflut macht es uns schwer, wirklich wichtige Botschaften für unser Leben zu erkennen. Diese Informationsflut macht es uns schwer auf die Himmelsboten Gottes zu hören. Ihre Stimme wird nicht aus dem All von Satelliten gesendet. Sie kommt aus dem Himmel Gottes: „Fürchtet euch nicht!“ So beginnt ihre Botschaft vom Anfang der Geschichte Gottes mit uns Menschen, die in der Person Jesu die Gestalt eines Menschen annimmt. Und diese Geschichte wird weitergehen. Jetzt und in Zukunft. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Pfarrerin mbA Franziska Boury aus dem Gemeindebrief 4-2017
Reformation feiern – Die Fülle des Lebens entdecken
Feiern gehört zum christlichen Leben dazu. Es ist der Ausdruck dafür, die Geschenke im Leben zu entdecken, zu genießen und in der Feier als Lob zu Gott zurückzuwerfen.
2017 – schon das ganze Jahr über kommt man am Bild von Martin Luther und dem Wort
„Reformationsjubiläum“ nicht vorbei. Aber „Wen“ oder „Was“ feiern wir eigentlich? Und können wir als Protestanten das überhaupt – ein Fest feiern? Wenn man den Klischees über Protestanten folgt, könnte man meinen, das Feiern gehört nicht dazu. Ich erinnere mich an ein Bild aus meiner Jugendzeit. Das Bild von den zwei Wegen. Der schmale, anstrengende Pfad, der sich steil in den Bergen windet und der von Verzicht und Demut begleitet wird. Er führt direkt zum Himmel. Und da ist der zweite Weg. Ein breiter Weg, gesäumt von Kneipen und anrüchigen Häusern, wo die Menschen tanzen und lustvoll ihr Leben genießen und der nicht in den Himmel führt. Ein Bild aus frommen protestantischen Häusern, das mir selbst als Pfarrerstochter fremd war, die ich selber gerne Karten spielte und in den Tanzunterricht ging. „Muss man sich jetzt für seinen Weg rechtfertigen?“, fragte ich mich als Jugendliche, wenn ich vor diesen Bildern stand.
Und damit sind wir schon bei dem Punkt „Was!“ und nicht „Wen“ wir in diesem Jubeljahr feiern. Denn es jährt sich nicht das Geburtsjahr Martin Luthers, sondern es jährt sich zum 500. Mal das Jahr, in welchem die 95 Thesen gegen den Ablasshandel von Martin Luther veröffentlicht wurden. Sie stießen den ersten Dominostein für die folgenden Ereignisse um. Wir feiern, was uns gerecht macht – woraus wir immer wieder unser Leben schöpfen. Nicht aus der Kirche, sondern durch Gottes Gnade, den Glauben an Gott, in der Erinnerung, wie Gott uns in Jesus Christus ganz nah gekommen ist, so wie wir Gottes Nähe und seine Lebensfülle für uns in der ganzen Heiligen Schrift entdecken können. Und das ist doch ein Grund zum Feiern, so wie wir auch alle anderen Feste des Lebens feiern im privaten und gemeindlichen Bereich, wie z.B. die Geburt eines Kindes – jeden Geburtstag, die besonderen Lebensstationen, wie die Konfirmation oder die Volljährigkeit, Feste der Gemeinschaft durch Gemeindefeste und ähnliches und die Hochzeiten von zwei Menschen, die zueinander finden.
Und natürlich können wir diese Lebensfreude – von Gott geschenkte Lebensfülle feiern, wie in dem von Martin Luther hochgeschätzten Johannesevangelium. Dort wird im zweiten Kapitel von der Hochzeit in Kana erzählt. Es ist das erste öffentliche Wirken Jesu in diesem Evangelium – und das erste Wirken beginnt mit einem Fest. Die Menschen feiern das Leben und die Liebe und die Zukunft. Und in diese Feier hinein wirkt Jesus ein Geschenkwunder, als er das Wasser zu Wein verwandelt. Es ist ein Wunder, das unser menschliches Sehnen nach Leben ernst nimmt. Es ernst nimmt mit unserer Angst, unseren Sorgen, dass wir nicht genug haben könnten. Es ist ein Wunder, das um die Begrenzung des Lebens weiß. Und in die Erfahrung der Begrenzung hinein – der Wein geht aus, hoffentlich leidet das Fest nicht darunter – gibt es dieses Geschenkwunder Jesu, der Überfülle. Es ist viel mehr an Wein da als nötig – es ist eine Überfülle an Leben für uns geschenkt.
Ich wünsche uns, dass wir in diesem Jubeljahr der Reformation und auch darüber hinaus immer wieder Anlässe finden, wo wir die Fülle des von Gott geschenkten Lebens entdecken und mit ihm feiern.
Pfarrerin mbA Franziska Boury aus dem Gemeindebrief 3-2017
Feuer und Flamme
Zusammen mit Gott
für die Liebe entbrennen
Sind Sie schon mal vor Leidenschaft für etwas entbrannt?
Für Ihre Frau – Ihren Mann;
Ihre Freundin – Ihren Freund;
Ihre Familie;
eine bestimmte Weinsorte oder ein bestimmtes Gericht;
eine bestimmte Sache,
ein Thema, das Sie nicht mehr losgelassen hat,
wo Sie drangeblieben sind – sich bis heute
engagieren;
für…?
Feuer und Flamme steht über diesem Gemeindebrief, der uns durch die Sommermonate begleitet. Das Feuer der Sonne wird uns hoffentlich häufig nach draußen locken und den Sommer genießen lassen.
In der Gemeinde waren und sind im Mai und im Juni die Konfirmationen.
Ob die Konfirmandinnen und Konfirmanden für Gott entbrannt sind – für die Gemeinde – ob sie dabeibleiben und in der Gemeinde präsent bleiben? So fragen wir Pfarrer/-innen uns oft oder werden von der Gemeinde gefragt.
Feuer und Flamme für etwas sein – etwas lieben – nicht nur für einen Augenblick – sondern länger anhaltend – unauslöschbar.
In der Bibel gibt es ein kleines Buch von acht Kapiteln, das eine Sammlung von Liebesgedichten enthält. Sie werden dem weisen König Salomo zugeschrieben. Über viele Jahrhunderte hinweg haben jüdische und christliche Gelehrte diese menschlichen Liebesdialoge und -verse so umgedeutet, dass sie für die Liebeserklärung des einen Gottes (bzw. dann Christus) an sein Volk (seine Kirche) stehen.
„Denn Liebe ist stark wie der Tod, und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme. Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen noch all die Ströme sie ertränken. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, würde man ihn verachten?“ (Die Bibel, Altes Testament, Hohelied, Kapitel 8, Verse 6b-7)
So heißt es im Hohelied Salomos. Die Liebe brennt, sie brennt so stark, so intensiv, dass sie durch nichts zu löschen ist. Und wir Menschen, wir sehnen uns nach so einer Liebe, die nicht nur kurz entflammt, sondern wie ein ewiges Feuer hält. Durch unsere Erfahrungen wissen wir, dass es mit an uns liegt, dieses Feuer weiter brennen zu lassen, ihm weiter Brennmaterial zu geben, damit das Feuer nicht erlischt. Aber auch kaufen kann man die Liebe nicht, denn es ist ein Gemeinschaftsprojekt – es erfordert den gemeinsamen Einsatz.
Durch die Umdeutung auf den einen Gott ist uns so eine Liebe schon geschenkt, unauslöschlich. Eine Liebe, die nicht erworben werden kann, die nicht käuflich ist. Kein Geben und Nehmen, sondern reines Geschenk.
So tief ist dieses Liebesbild zwischen Gott und Mensch verwurzelt, dass dieses Buch die Festrolle ist, welche zum Passahfest gelesen wird, zu dem Fest, an welchem erinnert wird, was Gott alles für sein Volk getan hat und das aus christlicher Perspektive eng mit dem Osterfest verbunden ist. Und so greift der Schreiber der Johannesbriefe dieses Liebesmotiv auf: „Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“
(Die Bibel, Neues Testament, 1. Johannesbrief, Kapitel 4, Vers 16b)
Diese Liebe, Gottes Liebe, soll die Grundlage für die christliche Gemeinschaft sein, soll uns antreiben, vorwärtstreiben, das ist die Stimme, die wir im Stimmengewirr von Pfingsten in allen Sprachen verstehen und die unsere Grundlage für alles weitere Handeln und Leben ist.
Gott, der Liebhaber der Menschen – ich finde dies einen wunderbaren Gedanken.
Lassen Sie sich von der Liebe Gottes in die Sommerzeit führen!
Pfarrerin Christiane Birgden aus dem Gemeindebrief 2-2017
Augenblick mal
Nicht zu schnell urteilen
„Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“
(Die Bibel, Lukasevangelium, Kapitel 10, Verse 38-42)
„Lass doch liegen, kannste doch später machen!“ Offen gestanden habe ich mich schon als Kind an dieser Geschichte gestoßen, vor allem an der Lösung, die Jesus findet, nun ja: verordnet. Schöner hätte ich es gefunden, wenn Jesus gesagt hätte: „Stimmt, da haste auch recht, Marta, lass uns jetzt gemeinsam schnibbeln und uns dann gemütlich hinsetzen!“. Das wäre mein Jesus gewesen.
Später hörte ich dann, dass Jesus jedem gibt, was er braucht. Und Martha braucht eben mal ‘ne Pause.
Doch Augenblick mal! Ich gehe an der Spree entlang in Richtung Dom, dort ist unser Hörsaal. Neben mir die berühmte feministische Theologin Elisabeth Schüssler-Fiorenza. Sie hat dieses Semester eine Gastprofessur bei uns in Berlin und sieht so ganz anders aus, als ich sie mir vorgestellt habe. Eigentlich wie eine liebe Oma. „Sie werden nicht jeden Text retten können“, sagt sie. Und dann erfahre ich, dass dieser Text aus der Zeit stammt, in der Frauen zunehmend aus den Leitungsämtern der frühen Kirche herausgedrängt werden. Besonders Martha, die, wenn man hinschaut, ziemlich parallel zu Petrus aufgebaut ist: Wie er erkennt sie in Jesus den Christus, den Messias. Später wird erzählt, dass sie „bei Tisch diente“, also die Abendmahlsfeier anleitete. Vermutlich war sie die Leiterin einer Hauskirche. Das war einigen zu viel. Vor allem, als der Druck durch die römische Besatzung spürbarer wurde. „Also, liebe Martha, sitzen, schweigen und den Männern lauschen!“ – so war‘s dann lange Zeit in der Kirche.
Zunächst hatte ich Angst, dass ich Bibeltexte durch ihre Betrachtung im zeitgeschichtlichen Kontext verlieren würde, aber im Falle von Martha habe ich ihn gewonnen. Vor allem Martha als Identifikationsfigur, denn das, was sie erlebt hat, ist auch heute noch aktuell. Also, Augenblick mal!